Im Interview: „Die hohe Eigenmotivation für gute, zuverlässige Dienste bewahren“

Das Cerebras CS-2-System mit seinem Riesen-Prozessor, der erste Kryostat mit supraleitendem Quantenprozessor: 2022 feierte das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) nicht nur 60. Geburtstag, sondern startete mit voller Kraft in seine eigene Zukunft und die der IT. „Für all diese neuen Themen benötigen wir hoch qualifiziertes Personal, das in Zeiten des Fachkräftemangels sowie unter den finanziellen Rahmenbedingungen des öffentlichen Dienstes schwer in ausreichender Zahl zu finden ist“, beschreibt Dr. Jürgen Seidl, Leiter Zentrale Dienste des LRZ, Veränderungen, die mit dieser Entwicklung einhergehen. Künstliche Intelligenz und Quantencomputing in die Wissenschaft zu bringen und damit den Alltag von Forschenden zu verbessern, zu vereinfachen, zu bereichern, ist jedoch nur ein Ziel des LRZ. Zwischen all den Schlagzeilen ging in diesem Jahr fast unter, dass sich auch bei den Benutzernahen Diensten (BDS) einiges getan hat: Die Münchener Universitäten studieren wieder in Präsenz und organisieren hybride Veranstaltungen, Studierende und akademische Institutionen verlassen sich auf den unkomplizierten Remote-Zugriff auf Computer-Ressourcen und Software, auf funktionierende Kommunikationsnetze und Cloud-Services sowie auf die Tools zum mobilen Arbeiten und die LRZ-Trainings. „Dienste wie LRZ Sync+Share oder Bayern Share werden heute stärker genutzt als vor Corona-Zeiten. Der Austausch von Dateien hat offensichtlich an Universitäten, Instituten und am LRZ zugenommen, auch die organisationsübergreifende Verwaltung der Ablage“, beobachtet Dr. Norbert Hartmannsgruber, der den Bereich BDS am LRZ leitet. Zeit für ein Gespräch – und einen Blick zurück auf das Jahr 2022 sowie in die (nahe) Zukunft des LRZ.

Das LRZ Gebäude

Das LRZ-Gebäude auf dem Forschungscampus in Garching

2022 sind viele neue Technologien am LRZ gelandet. Verändern sie das LRZ oder seine IT-Dienstleistungen?
Dr. Jürgen Seidl:
All diese neuen Themen benötigen hoch qualifiziertes Personal, das in Zeiten des Fachkräftemangels sowie unter den finanziellen Rahmenbedingungen des öffentlichen Dienstes schwer in ausreichender Zahl zu finden ist. Das LRZ versucht daher auch für internationale Kandidat:innen möglichst attraktiv zu werden. Daher haben wir 2022 an der Jobmesse der SC22 in Dallas, der wichtigsten Supercomputing-Konferenz, teilgenommen und versucht, dort geeignetes Personal anzusprechen. Das Team des LRZ ist aus meiner Sicht durch die neuen Technologien noch diverser und vielfältiger geworden, am LRZ sind jetzt 42 Nationen vertreten. Hier ist es wichtig, dass wir es schaffen, die Neuen gut in unser Haus zu integrieren und ihnen die Werte des LRZ zu vermitteln, um weiter erfolgreich zu sein, und um uns weiter zu entwickeln. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen.
Dr. Norbert Hartmannsgruber: Im Bereich Benutzernahe Dienste und Services oder BDS haben wir allenfalls Berührungspunkte mit Forschungsprojekten, wenn es um Visualisierungen und Virtuelle Realität geht. Wir kümmern uns vor allem um die Infrastruktur, die verlässliche Basisdienste wie Mail, Speichermöglichkeiten, Remote-Zugriff und Vernetzung ermöglicht. Vielleicht wird Künstliche Intelligenz oder KI einmal bei der Kontrolle und Steuerung von Hard- und Software eingesetzt, vielleicht stellt uns Quantencomputing neue Sicherheitsfragen. Aber das ist Zukunftsmusik, diese Technologien verändern unseren Alltag noch nicht. Natürlich sehen wir, dass gerade KI in den Fokus von Forschenden rückt und diese daher mehr Services in diesem Bereich verlangen, dafür wurden die entsprechenden Systeme 2022 ausgebaut. Aber wir in BDS arbeiten vor allem daran, dass die Basisdienste weiterhin zuverlässig und performant laufen.

Wurde denn auch dafür neue Technik angeschafft?
Hartmannsgruber:
Wir haben die Medientechnik für den Einsatz in den Seminar- und Konferenzräumen des LRZ aufgerüstet, können damit Präsenz-Seminare und Vorträge besser aufnehmen und zeitgleich online verbreiten. Daneben beschäftigen wir uns gerade sehr stark mit Kubernetes. Diese Middleware zur Orchestrierung von Cloud- und Containerdiensten bauen wir jetzt für Folio auf. Das wiederum ist eine neue Managementsoftware für Bibliotheken, die das LRZ betreibt und bei der wir uns in die Weiterentwicklung und ins Deployment einbringen. Kubernetes wird uns auch in anderen Bereichen weiterbringen, damit können das LRZ sowie unsere Anwender:innen Clouddienste und -Umgebungen besser managen und skalieren.

2022 war Corona zwar nicht überwunden, aber nach zwei Jahren wird wieder in Präsenz studiert, geforscht, gearbeitet: Gelang der Re-Start am LRZ?
Hartmannsgruber:
Der Re-Start in Präsenz an den Universitäten war jedenfalls kein solcher Big Bang wie der Lockdown in der Pandemie. Mussten damals für virtuelle Vorlesungen und Remote-Zugriff in Windeseile Systeme und Netzkapazitäten ausgebaut werden, sind die Münchner Hochschulen inzwischen für hybride Veranstaltungen gut gerüstet. Lücken in der WLAN-Versorgung und in der Ausrüstung mit Medientechnik bleiben weiterhin Themen, an denen wir gemeinsam arbeiten. Statistiken zu hybriden Veranstaltungen haben wir nicht, weil die Unis auf Zoom aus der Cloud setzen und das LRZ dieses Programm nicht hostet. Aber in den Jour Fixes erfahren wir, dass hybride Vorlesungen den Aufwand hinsichtlich Moderation, Aufbereitung der Inhalte oder Regiehilfen bei Chat und Fragen von Online-Teilnehmenden enorm vergrößern. Persönlich habe ich in den letzten Jahren den Vorteil der mobilen Arbeit entdeckt; mittlerweile frage ich mich vor allem im Stau, warum ich jetzt eigentlich ans LRZ fahre. Der schnelle fachliche und persönliche Austausch mit Kolleg:innen bei offenen Türen ist aber nach wie vor ein sehr großer Mehrwert von Präsenz.
Seidl: Der Übergang zurück ins Büro war am LRZ fließend. Durch unsere weitgehende Dienstvereinbarung zur mobilen Arbeit, die in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Personalrat und der Leitung der BADW entwickelt wurde, haben wir ein tolles Instrument, um individuelle Bedürfnisse mit den Erfordernissen von Teamarbeit zu verbinden. Ein Blick auf die derzeitigen Regelungen in anderen Betrieben oder Branchen zeigt, dass wir am LRZ ein sehr freies Modell anwenden, das so nicht selbstverständlich ist.

Hat sich etwas verändert bei der Nutzung der IT-Dienste oder beim Remote-Arbeiten? Hartmannsgruber:
Mir fällt auf, dass Dienste wie LRZ Sync+Share oder Bayern Share heute stärker genutzt werden als vor Corona-Zeiten. Der Austausch von Dateien hat offensichtlich an Universitäten, Instituten und am LRZ zugenommen, auch die organisations-übergreifende Verwaltung der Ablage. Außerdem wird das Lernen und Lehren mit Moodle permanent ausgebaut: Wir optimieren eigentlich permanent Software und Plattform nach Anfragen der Unis oder integrieren Dienste wie LRZ Sync+Share. Im Fokus stehen dabei auch Anforderungen rund um elektronische Prüfungen mit Hilfe von Moodle.

Wichtiger Meilenstein war die erste offizielle Re-Zertifizierung des LRZ – wie wichtig ist diese fürs LRZ und für seine Nutzer:innen?
Hartmannsgruber:
Für unsere Kunden und Anwenderinnen ist die Zertifizierung ein Qualitätsausweis, aus dem inzwischen eine Verpflichtung an uns wächst: Sie rechnen fest damit, Compliance- und Sicherheitsfragen werden schließlich immer wichtiger. Folglich werden wir die Rezertifizierungen schaffen müssen, um dieses Aushängeschild weiter anbieten zu können.
Seidl: Die Zertifizierungen nach den ISO/IEC Normen 20000 und 27001 erfolgen, um beispielsweise das Risikomanagement im Haus auszubauen. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass es immer wichtiger wird, sich vor Cyber-Angriffen zu schützen, Vorkehrungen gegen Katastrophenfälle – Stichwort: Blackout – zu treffen und so für bestmögliche Informations-sicherheit zu sorgen. Ein funktionierendes Information Security Management System ist die Basis. Ähnlich bedeutsam ist die zweite Norm unserer Zertifizierung, die ISO/IEC 20000, die den Fokus auf die Optimierung unserer IT-Managementprozesse legt, wozu die Kundenbeziehungen als wesentliches Element gehören. Schließlich geht es darum, den Auftrag zu erkennen und möglichst gut mit Services zu bedienen. Wichtig ist in meinen Augen, dass die beiden Regelwerke helfen, das Wissen unserer Kolleg:innen zu dokumentieren, um Prozesse transparent zu machen. Auf lange Sicht vermeiden wir so unnötige Arbeitsschleifen und ordnen Verantwortlichkeiten klar zu. Das führt zu weniger Reibungsverlusten – und nutzt allen. Dabei haben wir immer die Freiheit, Anpassungen in unserem System vorzunehmen, wenn die Norm-Vorgaben für das LRZ nicht passen oder mehr Aufwand erzeugen als Nutzen bringen.

Was planen Sie 2023 Neues?
Seidl:
Vorrangiges Ziel ist es, unsere neuen Kolleg:innen schnell und umfassend ins LRZ und in die Teams zu integrieren. Aktuell ist es leider manchmal so, dass die Vermittlung von Hintergründen und Erklärungen etwas zu kurz kommt. Spannend wird es, ob es uns gelingt, in der aktuellen Situation ohne Einschränkungen des Betriebs durch den Winter zu kommen. Offen ist auch, welche Auswirkungen der neue Haushalt 2023 bringt und damit verbunden, ob wir unsere Rechnungsstellung umbauen müssen. Diese Themen liegen aber nicht in unserer Hand.
Hartmannsgruber: Wir vernetzen uns immer weiter in Bayern, wir unterstützen viele Kooperationen von bayerischen Universitäten mit IT-Services, etwa im Bereich IT-Sicherheit, Mehrfaktoren-Authentifizierung oder Dokumentations-plattformen. Das werden wir 2023 weiter auf- und ausbauen. So entstehen Kompetenzzentren und ein Erfahrungsaustausch, von dem auch das LRZ profitieren kann. Nach zehn Jahren im Einsatz werden wir 2023 noch die LRZ CAVE erneuern, Beamer-Techniken durch LED-Panels ersetzen, und wir werden an Servern, Storage-Technologien und den Netzen arbeiten, die Grundlage der IT-Services sind. Damit sind wir alle gut ausgelastet.

Bald ist Weihnachten – Zeit wird’s für Wünsche: Was wünschen Sie sich und fürs LRZ?
Hartmannsgruber:
Mein Wunsch ist, dass das LRZ seine hohen Standards aufrecht erhält und seinen Anwender:innen auf gleicher Augenhöhe begegnet. Wir sind innovativ und kundenorientiert, sagen aber auch auf Grundlage unserer Erfahrungen, wenn wir etwas nicht so gut finden. Ich hoffe außerdem, dass wir – Mitarbeitende und Führungskräfte – die hohe Eigenmotivation am LRZ für letztlich gute, zuverlässige Services für unsere Anwender:innen bewahren können. Mehr geht eh nicht.
Seidl: Ich freue mich darauf, einfach auszuspannen und die Batterien aufzuladen – aber erst wenn der Haushaltsabschluss geschafft ist. Ansonsten bleibt mir nur, allen Kolleg:innen und Anwender:innen und ihren Familien schöne Festtage und einen guten Rutsch zu wünschen. Bleiben Sie alle gesund!

(interview: vs)

 

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