Werkzeug zur Modernisierung und Wirtschaftsförderung zugleich
In Deutschland sind Innovationspartnerschaften seit 2016 möglich. Bund und Länder unterstützen diese Beschaffungsmethode, weil sie die Entwicklung von neuen Angeboten und innovative Unternehmen unterstützt, laut Bundeswirtschaftsministerium sogar die Verwaltung und öffentliche Institutionen modernisieren hilft. „Die öffentliche Hand gibt pro Jahr in Deutschland rund 500 Milliarden Euro aus“, stellt Matthias Berg, Leiter des Kompetenzzentrums für innovative Beschaffung, KOINNO, fest. Er begleitete als Berater bereits einige solcher Partbnerschaften. „Wenn dabei nur ein Prozent in neue Produkte und Dienstleistungen fließt, dann ist das eine enorme Wirtschaftsförderung.“ Bei der Entwicklung des Exascale-Computers geht es zwar weniger um Modernisierung und Wirtschaftsförderung als vielmehr um die Entwicklung zukunftsträchtiger Computertechnologien. Wie andere Innovationspartnerschaften wird auch die des LRZ in mehreren Phasen verlaufen. Etwa zehn Spezialist:innen aus unterschiedlichen Bereichen begleiten die Beschaffung, die bereits Anfang 2022 mit einem Teilnahmewettbewerb begann. In mehreren Runden und bis Mitte April konkurrierten Hardware-Unternehmen nach den Vorgaben des LRZ mit Konzepten für das nächste High-Performance Computing- oder HPC-System. Aktuell sind die Bieterfirmen aufgefordert, dem LRZ offizielle Angebote mit detailliert ausgearbeiteten Co-Design-Schritten zu übermitteln. Im Juli soll das Vertragswerk stehen und werden die praktischen Entwicklungsarbeiten am neuen System mit den Unternehmen starten. Bis 2024 hat sich dann herausgestellt, welches Unternehmen den nächsten Supercomputer der Exascale-Generation aufbauen und betreuen wird.
„Die Innovationspartnerschaft ermöglicht es uns, mit mehreren Anbietern gleichzeitig Technologien für das nächste System zu entwickeln und zu optimieren“, nennt Herbert Huber Vorteile. Der promovierte Physiker leitet seit zehn Jahren die Abteilung Hochleistungssysteme am LRZ und hat bereits mehrere Supercomputer mitgeplant und beschafft. „So können wir die Unternehmen und ihre Arbeitsweise schon weit vor der Lieferung des Höchstleistungsrechners kennenlernen.“ In die Innovationspartnerschaft des LRZ fließen die Erfahrungen aus dem Future Computing und mit der Testumgebung Bavarian Energy, Architecture and Software Testbed (BEAST) ein. Auch das Big Data & Artificial Intelligence Team (BDAI) sowie die Gruppe Computational X Support (CXS), die Forschende bei der Optimierung von Algorithmen und deren Implementierung in HPC-Systemen unterstützt, arbeiten an Vorschlägen und Spezifikationen mit. Die Hoffnungen sind hoch, dass das Zusammenspiel der Komponenten des Supercomputers schon im Vorfeld getestet und verbessert werden kann. Außerdem sollen Anlaufschwierigkeiten abnehmen, wenn das System in Betrieb genommen wird. „Sind die ersten technischen Schritte und Verträge geklärt“, plant Huber, „werden wir daher auch Anwender:innen in die Entwicklungsarbeiten einbeziehen.“
Aufwand, Diskussionen und Risiken
Innovationspartnerschaften sind aufwändiger als andere Beschaffungsverfahren: „Sie lohnen bei Produkten mit hohem Investitionsbedarf und bei Neuentwicklungen“, beobachtet Berg. „Allerdings gibt es meist nur eine vage Idee von der zu entwickelnden Technik oder Dienstleistung, die Verträge werden über Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sowie Prototypenbau geschlossen.“ Diese berühren Urheber-, Patent- und auch Vermarktungsrechte und werden daher individueller und detaillierter ausgefertigt. Außerdem sind viele Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Das LRZ muss unter anderem sicherstellen, dass alle Unternehmen mit den gleichen Informationen arbeiten können und keiner von den technischen Neuerungen der anderen erfährt. Die Prototypen von Prozessoren, Acceleratoren und anderen Komponenten werden daher in unterschiedlichen und abgeschlossenen Racks installiert. Und das Team ist zu Schweigen verpflichtet, wer was und wie zum nächsten Supercomputer beisteuert, darf aktuell nicht an die Öffentlichkeit kommen.
Innovationskenner Berg empfiehlt außerdem, den Zeitaufwand nicht zu unterschätzen. „Für die einzelnen Entwicklungsschritte sollten die Konstruktionsvorgaben und vor allem die Prüfkriterien sorgfältig definiert und ausgearbeitet werden“, sagt er. „An den Diskussionen sollten möglichst viele beteiligt sein, damit unterschiedliche Sichtweisen und Bedürfnisse berücksichtigt werden.“ Auch wenn gleich mehrere Unternehmen in den ersten Runden an einem Problem arbeiten und dafür honoriert werden, helfen Innovationspartnerschaften durchaus auch beim Sparen. Erfahrungen zufolge sinken im IT-Bereich die Kosten um bis zu 30 Prozent, weil Hardware oder Software gezielter auf reale Bedarfe entwickelt werden. Vor allem aber soll im Fall des neuen Garchinger Supercomputers durch technologischen Wettbewerb das bestmögliche Exascale-System für Forschung und Wissenschaft entstehen – und werden hoffentlich nebenbei auch neue Komponenten entwickelt, die in der Wirtschaft IT-Prozesse besser gestalten helfen. Teilnehmende Unternehmen gehen bei der Innovationspartnerschaft zwar das Risiko ein, dass ihre Lösungen letztlich nicht ausgewählt und bestellt werden. Dafür können sie aber die während der Kooperation entstandenen Produkte selbst vermarkten und auf weitere Einsatzmöglichkeiten hin anpassen. „Gut möglich, dass Vorstellungen scheitern, aber diese Erfahrungen sind für alle Beteiligten wertvoll. Scheitern gehört zu Innovationen, der Öffentliche Dienst tut sich damit schwer, weil er über seine Ausgaben Rechenschaft ablegen muss“, sagt Berg zuversichtlich: „Obwohl das Verfahren komplex und die Risiken hoch sind, habe ich bisher noch keine Innovationspartnerschaft scheitern sehen.“ (vs)